Zwei Geschwister mit Wurzeln in Wien und ungarischem Taktgefühl im Blut sollen es für Deutschland richten. Sie vertreten unser Land beim Eurovision Song Contest 2025. Attila und Tünde Bornemisza, bekannt unter dem Namen Abor & Tynna, haben sich mit ihrem Song namens „Baller“ gegen alle Erwartungen durchgesetzt und das musikalisch und auch geografisch.
Während sich einige noch die Köpfe darüber zerbrechen, wie ein österreichisches Duo für Deutschland singen kann, sind Abor & Tynna längst mit anderen Dingen beschäftigt. Hinter den Kulissen des ESC rollt der Countdown zur größten Pop-Bühne Europas bereits unaufhaltsam weiter.
Es wird Zeit, sich anzusehen, wie aus einem klassisch geschulten Geschwisterpaar ein Act wurde, der sich anschickt, der deutschen ESC-Landschaft ein überfälliges Update zu verpassen.
Warum zwei gebürtige Österreicher plötzlich für Deutschland antreten
Geboren und aufgewachsen in Wien, eingebettet in ein Elternhaus, in dem Musik den Alltag prägte. Der Vater, Csaba Bornemisza, spielt seit Jahrzehnten Cello bei den Wiener Philharmonikern. Das klingt nicht gerade nach Popkarriere, aber vielmehr nach Disziplin, Übezimmer und Beethoven. Attila und Tünde, Jahrgang 1998 und 2000, tragen nicht nur ungarische Vornamen, sie leben auch eine Mentalität, die irgendwo zwischen osteuropäischer Strenge und mitteleuropäischer Offenheit pendelt.
Dass die beiden heute Deutschland beim ESC vertreten, ist das Ergebnis eines Umwegs mit Weitsicht. Ihre Musik entsteht inzwischen zum Großteil in Deutschland, das Label sitzt in Hamburg und auch ihr bisher größter Karriere-Meilenstein, die Teilnahme an der Vorentscheidungsshow „Chefsache ESC 2025“, fand dort statt. Jetzt herrscht große Euphorie und das ganze Land blick gespannt auf die zwei Musiker.
Die Hoffnung auf einen deutschen Sieg ist spürbar und es scheint eine kleine Euphorie-Welle durch Deutschland zu schwappen, was sich auch im Marketing zeigt. Beim Glücksspiel-Anbieter Lapalingo gibt es beispielsweise einen Bonus für ESC-Fans, sodass sie die Stimmung rund um den ESC in Basel noch mehr genießen können.
Österreich wiederum beobachtet das Geschehen vermutlich mit einer Mischung aus Stirnrunzeln und wachsendem Interesse. Die ESC-Gemeinde diskutiert noch immer, ob Staatsbürgerschaft oder künstlerische Identifikation ausschlaggebend ist. Für Abor & Tynna zählt jedoch vor allem die Bühne in Basel.
Musikalische Wurzeln, die man hört
Es gibt Acts, die sich vorsichtig an Klassik herantasten, als stünden sie vor einem fremden Buffet und dann gibt es Abor & Tynna. Für sie ist Musik mit Noten, Struktur und Stille kein Ausflug in ein anderes Genre, sie ist Teil ihrer DNA. Attila am Cello und Tünde ursprünglich an der Querflöte lautete ihre Ausbildung und so begannen sie nicht mit dem ersten Streaming-Erfolg, sondern mit echter Schulung, Wettbewerbserfahrung und der ständigen Präsenz klassischer Musik.
Die Instrumente sind nicht bloß schmückendes Beiwerk. Sie sind integraler Bestandteil ihrer Songs, die sie mit hörbarem Anspruch gestalten. Attilas Cello übernimmt rhythmische Aufgaben, schafft Atmosphäre und setzt Akzente, während Tünde sich inzwischen ganz auf den Gesang konzentriert. Ihre technische Schulung verleiht ihrer Stimme Präzision und Ausdruckskraft. Diese Mischung aus klanglicher Tiefe und popkulturellem Zeitgeist macht ihre Musik besonders und gleichzeitig experimentell und zugänglich.
Statt sich festzulegen, verbinden die beiden Pop, Trap, Elektro und Klassik zu einem Sound, der keine Kompromisse eingeht. Ihr Stil wirkt als echtes musikalisches Konzept und „Baller“ zeigt das eindrücklich als ein bewusst gebautes Klangbild mit Ecken, Kanten und Haltung.
So verlief der bisherige Karriereweg von Abor & Tynna
Angefangen hat alles ganz unspektakulär. 2016 luden sie einen Song auf SoundCloud hoch, eher ein musikalischer Versuch als ein strategischer Karriereschritt, doch genau dort entdeckte ein Hamburger Produzent das Duo und erkannte das Potenzial hinter dem experimentellen Sound. Es folgten kleine Auftritte, viel Zeit im Studio, Geduld und Feinschliff.
2024 ergab sich dann die Gelegenheit, als Support-Act bei Nina Chubas Tour aufzutreten. Der Abend in Bremen sollte sich als Wendepunkt entpuppen. Ihre Performance sorgte für Aufsehen und verschaffte ihnen die nötige Sichtbarkeit.
Auf Vorschlag ihres deutschen Labels bewarben sie sich anschließend beim Vorentscheid „Chefsache ESC 2025“. Zunächst galten sie als Außenseiter, doch mit einem starken Auftritt und einem Song, der nicht auf Massentauglichkeit setzte, holten sie sich am Ende mit 34,9 Prozent der Stimmen überraschend den Sieg und waren die Stars des Abends.
Ein Song mit Power und Potential – was „Baller“ so besonders macht
„Baller“ klingt nicht nach Sonntagsbrunch, der Beat pocht, die Energie springt über und die Lyrics sind kantig. Der Song verzichtet auf überflüssige Schnörkel und platziert seine Botschaft direkt auf den Punkt. Selbstbewusstsein ohne Überheblichkeit, so lässt sich die Stimmung am treffendsten beschreiben.
Tünde singt nicht einfach, sie setzt jede Silbe mit Nachdruck. Mal fast gesprochen, dann wieder klar intoniert, verleiht sie dem Song eine Dringlichkeit, die hängen bleibt. Attilas Cello bringt eine Klangfarbe ins Spiel, die im ESC-Kontext selten geworden ist. Nicht weichgezeichnet, sondern mitreißend, fast wuchtig, sorgt es für Kontraste zum elektronischen Grundgerüst.
Die Entscheidung, auf Deutsch zu singen, wirkt im internationalen ESC-Zirkus wie ein bewusster Bruch mit Konventionen. Ihre Sprache ist direkt, greifbar und rhythmisch präzise eingesetzt. Auch deshalb entfaltet „Baller“ seine Wirkung auf der Tonspur und visuell. Die Bühnenshow unterstreicht den Sound mit klaren Linien, starker Lichtführung und intensiver Präsenz.
Stefan Raab versucht nochmal einen Angriff auf die ESC-Krone
Ein stiller Clip genügte, um Stefan Raabs Interesse zu wecken. Nach Jahren im Hintergrund mischte sich der einstige ESC-Mastermind erneut ein, aber dieses Mal als stiller Förderer. Sein Gespür für Acts, die musikalisch auffallen, scheint ungebrochen. Dass Abor & Tynna von seinem Interesse profitierten, brachte zusätzliche Aufmerksamkeit und öffnete manche Tür, die sonst möglicherweise verschlossen geblieben wäre.
Doch nicht alles verlief reibungslos, denn nach ihrem Triumph beim Vorentscheid machte sich bei Tünde eine Stimmüberlastung bemerkbar. Geplante Promoauftritte mussten ausfallen, was sofort Spekulationen über die ESC-Tauglichkeit des Duos auslöste. Während manch ein Boulevardblatt bereits Rückzüge fantasierte, arbeiteten die beiden im Hintergrund konzentriert weiter. Vocal-Coaches, medizinische Begleitung und disziplinierte Vorbereitung bestimmen seitdem ihren Alltag.
Zwei Geschwister und ein Ziel beim ESC 2025
Am Ende zählt beim ESC mehr als nur der Platz auf dem Tableau. Eindruck, Wiedererkennbarkeit und künstlerische Haltung können langfristig mehr bewirken als ein punktestarker, aber austauschbarer Hit. Abor & Tynna liefern genau das, ein Profil, das sich nicht in Algorithmen fassen lässt. Ihre Mischung aus handwerklicher Musikalität und mutigem Stil hebt sie von vielen Acts ab, die mehr Image als Substanz bieten.
Sie bringen Erfahrung, Können und ein Gespür für das, was ein Song transportieren kann. Der Auftritt in Basel könnte für sie ein Sprungbrett werden und das nicht nur zum Ruhm, sondern zur Etablierung einer künstlerischen Identität, die auch jenseits des ESC Bestand hat.